Grasende Rinder sollen Wildschweine von der Wohnbebauung fernhalten. Das funktioniert jedoch nur eingeschränkt. Nun wird über den Ausbau eines Elektrozauns diskutiert.
Egon Müller ist sich sicher: Die Wildschweine kommen von den Weideflächen in die Gärten – unter dem Elektrozaun schlüpfen sie einfach hindurch. Foto: ste
Im Anschluss verwandeln die Tiere den Untergrund auf der Suche nach Würmern und Larven in eine Kraterlandschaft. Foto: ste
Beete sind umgepflügt, bis wenige Meter an sein Elternhaus im Quellenweg am Ortsende von Peterstal heran sind die Tiere offenbar gekommen. Foto: ste
Heidelberg. E gon Müller steht in seinem Garten und zeigt auf den Boden, der einmal eine Wiese war. Wildschweine haben den Untergrund auf der Suche nach Würmern und Larven in eine Kraterlandschaft verwandelt. Beete sind umgepflügt, bis wenige Meter an sein Elternhaus im Quellenweg am Ortsende von Peterstal heran sind die Tiere offenbar gekommen. "So schlimm war es seit zwei, drei Jahren nicht mehr", sagt Müller. Abhilfe könnte seiner Ansicht nach die Verstärkung des Elektrozauns zur angrenzenden Weide schaffen. Darüber diskutiert er seit fast vier Jahren mit der Stadt, dem Weidepächter und ForstBW, der Landesbehörde, die für den umgebenden Wald zuständig ist. Doch einigen konnte man sich noch nicht.
Das Problem: Der Elektrozaun verfügt über zwei Drähte, auch Litzen genannt. Um die Hochlandrinder der Neuneralm zurückzuhalten, die auf dem angrenzenden Areal zwischen Wohnbebauung und Wald grasen, reicht das aus. "Aber die Wildschweine laufen unter der zweiten Litze durch. Wegen ihrer dicken Schwarte und den Borsten am Rücken bemerken sie den Stromimpuls gar nicht", erklärt Müller. Hätte der Zaun eine dritte oder sogar eine vierte Litze, würden die Schwarzkittel mit ihren empfindlichen Schnauzen an den Draht stoßen – und kehrtmachen, so Müllers Hoffnung.
> Das Projekt "Weidegemeinschaft" soll dazu beitragen, die hiesige Kulturlandschaft zu pflegen – unter anderem geht es dabei um die Vertreibung von Wildschweinen aus verwilderten Flächen in unmittelbarer Nähe zur Wohnbebauung. Diese Areale, die den Wildtieren durch dichte Hecken und Büsche
> Das Projekt "Weidegemeinschaft" soll dazu beitragen, die hiesige Kulturlandschaft zu pflegen – unter anderem geht es dabei um die Vertreibung von Wildschweinen aus verwilderten Flächen in unmittelbarer Nähe zur Wohnbebauung. Diese Areale, die den Wildtieren durch dichte Hecken und Büsche gute Verstecke bieten, sollen in Weideland vor allem für Kühe und Schafe umgewandelt werden. Seit 2015 fördert die Stadt die Arbeiten, die notwendig sind, um geeignete Flächen für die Beweidung herzurichten, zum Beispiel die Rodung von Hecken oder die Installation eines Weidezauns.
> Dafür ist die Stadt auf die Kooperation der jeweiligen Grundstücksbesitzer angewiesen, außerdem muss ein Weidepartner zur Verfügung stehen, der das Gelände dann nutzt. Das Areal am Quellenweg allerdings wurde nicht durch das Projekt direkt in Weideland umgewandelt – die Rinder von Ralph Neuner haben auch schon vor dem Jahr 2015 dort gegrast.
> In Ziegelhausen wurden Flächen am Köpfel und im Bereich Hirtenaue/Bächenbuckel (Rinder) sowie beim Pferchelhang (Alpakas) im Rahmen des Projekts "Weidegemeinschaft" umgewandelt. Interessierte können sich bei Thorsten Stephan vom städtischen Landschafts- und Forstamt melden (Telefon: 06221/5828042, E-Mail: thorsten.stephan@heidelberg.de). ste
D e r Zaunausbau und die Anschaffung eines stärkeren Stromgerätes sind sogar schon finanziert, die Kosten würde die Stadt Heidelberg tragen. Die Mittel kommen zum Teil aus dem Projekt "Weidegemeinschaft", das zum Ziel hat, verwilderte Flächen zwischen Wald und Wohnbebauung zu Weideland zu machen und so Wildschweine fernzuhalten. Wer aber die Kosten für den Unterhalt der ausgebauten Eingrenzung zu tragen hat, darüber gibt es bisher keine Einigung.
Soll der Zaun wirklich dauerhaft Wildschweine fernhalten, muss ganzjährig kontrolliert werden, ob er beschädigt ist und ausgebessert werden muss. Auch muss regelmäßig das Gras gemäht werden, damit die unterste Litze frei ist. Bisher schaut Ralph Neuner nur nach dem Rechten und bessert aus, wenn der Winter um ist – und bevor im Frühjahr die Rinder wieder auf die Weide kommen. Müller würde gern wissen, welche Mehrkosten im Unterhalt der ausgebaute Zaun verursachen würde, "damit wir mal wissen, über welche Beträge wir überhaupt sprechen." Doch von Weidepächter Neuner habe er dazu noch keine Auskunft erhalten.
"Hier eine konkrete Zahl zu nennen, wäre reine Spekulation, weil ich in einem so schwierigen Gelände keine Erfahrungswerte habe", sagt Neuner im Gespräch mit der RNZ. Das Weidegebiet erstreckt sich über etwa fünf Hektar in der Senke zwischen Wald, Quellenweg und Wilhelmsfelder Straße, ein Teil davon gehört Müller, der Rest weiteren Besitzern. Der etwa ein Kilometer lange Zaun verläuft zu großen Teilen in unwegsamem Gelände. "Schon der Ausbau ist ein großer Aufwand. Wir können den Zaun nur an einer Stelle direkt anfahren, das Material muss ansonsten zu Fuß hingeschafft werden. Dann wissen wir nicht, ob wir zusätzliche Pfosten von Hand setzen müssen oder ob wir Maschinen benutzen können", erklärt Neuner.
Klar ist für ihn allerdings, dass er die Unterhaltskosten nicht tragen kann und will. "Wir leben von unserer Viehwirtschaft, und der Ertrag in einem solchen Gelände wie am Quellenweg ist gering. Wir müssen aber auch ein bisschen was verdienen und auf unsere finanziellen und zeitlichen Ressourcen achten. Im Winter haben wir andere Arbeiten zu erledigen und für die zusätzliche Zaununterhaltung keine Zeit." Zudem seien die Wühlschäden nicht auf dem Weideland entstanden, sondern auf Müllers Privatgrund. Neuner ist außerdem überzeugt: "Der finanzielle Aufwand für den Ausbau und den Unterhalt des Zauns wäre höher als die Schäden durch die Wildschweine."
Er kann Müllers Ärger aber auch verstehen. Er selbst hat an seinem Wohnhaus auf der Neuneralm in Schlierbach ebenfalls einen wildschweinsicheren Elektrozaun installiert, "weil ich keine Lust mehr auf die Schäden hatte". Aber das habe er selbst bezahlt. Anwohner von zwei seiner Weideflächen in Ziegelhausen hätten ebenfalls Probleme mit dem Schwarzwild. Auch sie hätten die Zäune auf eigene Kosten ausgebaut und sorgten selbst für die Unterhaltung – allerdings sei das Gelände in beiden Fällen viel einfacher.
Überhaupt sei gar nicht sicher, dass die Wildschweine tatsächlich über das Weidegebiet auf Müllers Gartengrundstück gelangen. Schließlich sei der kleine Hang oberhalb des Wohnhauses frei vom Wald aus zugänglich. Das wiederum lässt Müller nicht gelten. "An den Spuren ist klar zu sehen, dass die Tiere von den Weideflächen in die Gärten gekommen sind und damit unter den stromführenden Litzen hindurchgeschlüpft sind."
Ihm geht es auch gar nicht in erster Linie ums Geld, Müller will einfach Ruhe vor den Wildschweinen haben – zumal es immer wieder zu Begegnungen kommt. "Kürzlich habe ich in der Senke eine Bache mit ihren Jungen getroffen. Das war um halb sechs abends, vielleicht wohnen die mittlerweile sogar auf dem Weidegelände und gehen gar nicht mehr in den Wald zurück", berichtet Müller. Und als er an einem anderen Abend noch draußen war, hörte er ein lautes Grunzen. "Da habe ich mich beeilt, ins Haus zu kommen."
Unzufrieden ist Müller auch mit der Landesbehörde ForstBW, die für den angrenzenden Wald zuständig ist – und damit auch für die Bejagung der Wildschweine. Die Kommunikation mit dem beauftragten Jäger sei nicht gut. "Ich bekomme keine Informationen, wann gejagt wird", beschwert sich Müller. Dabei steht direkt hinter seinem Haus ein Hochsitz – und er würde einfach gerne wissen, wenn da geschossen wird.
Im vergangenen Jahr seien im gesamten Jagdrevier, das gut 1000 Hektar groß ist und zu dem auch die Weide am Quellenweg gehört, 80 Wildschweine geschossen worden, berichtet Georg Löffler von ForstBW auf RNZ-Anfrage. Im angrenzenden Revier seien es noch einmal 30 gewesen. "Man nutzt dafür aber mittlerweile nicht mehr nur die Hochsitze, sondern auch Wärmebildkameras, mit denen man die Tiere lokalisiert und sich dann anpirscht", erklärt der stellvertretende Leiter des Forstbezirks Odenwald, zu dem Heidelberg gehört. Allerdings sei es "ziemlich schwierig", in dem Bereich am Quellenweg zu jagen.
Bleibt der Ausbau des Zaunes: Mül ler würde sogar dabei helfen, zumindest auf seinem Grundstück. Aber Kontrolle und Ausbesserungen selbst zu übernehmen, das traut er sich mit seinen bald 70 Jahren nicht mehr zu. Auf ein paar Euro kommt es ihm nicht an, nur ganz will er die Kosten für den Unterhalt eben auch nicht tragen. Zumal er sich heute auch schon für die Beweidung engagiert. So hat er etwa die Verlegung von Stromleitungen auf die andere Seite seines Hauses bezahlt, damit dort auch Rinder weiden können. Dort versorgt er die Tiere auch mit Wasser. Zudem hängt das Stromgerät für den Elektrozaun an seinem Anschluss – eine eher symbolische Maßnahme, denn der Verbrauch ist verschwindend gering.
Aber da geht es Müller wie vielen Grundstücksbesitzern, die in Waldnähe wohnen und denen Wildschweine die Gärten umgraben. Für die Sicherung muss er selbst aufkommen, die Kosten für die Schäden selbst tragen – während Neuner Wildschweinschäden auf den Weideflächen bei ForstBW geltend machen kann, denn das ist vertraglich und per Gesetz geregelt.
So wird es vermutlich auch bleiben, wenn es keine Einigung über die Kosten für den Zaununterhalt gibt. Die Stadtverwaltung macht auf RNZ-Anfrage klar, dass es aus dem Projekt "Weidegemeinschaft" keine Mittel dafür gibt, das sei nicht vorgesehen. Hier müssten Weidepartner und Grundstückseigentümer eine Reglung finden.
Die ist nicht in Sicht, und das lässt Müller ein wenig resignieren. Den Strom hat er jetzt abgeschaltet, denn Rinder sind noch keine da und der Zaun sei ohnehin beschädigt. "Vielleicht lasse ich es so. Dann fällt das Gelände als Weide aus und wächst wieder zu. Aber ich weiß nicht, ob das dann besser ist."
Peterstal ist nicht der einzige Stadtteil, in dem Gartenbesitzer ihre Grundstücke vor Wildschweinen sichern müssen. In Handschuhsheim waren lange auch die Gärten in der Unteren Roth am Fuße des Heiligenbergs betroffen. Dort haben Gartenbesitzer im vergangenen Herbst damit begonnen, Baustahlmatten an den bestehenden Zäunen anzubringen, um die Wildschweine fernzuhalten. Finanziert wurden die Matten von der Stadt. Die Handschuhsheimerin Sabine Papst koordiniert das Projekt in der Unteren Roth, wo sich rund 30 Gärtner zusammengeschlossen haben. Ob die Stahlmatten den gewünschten Effekt haben, ist noch nicht ganz gewiss, denn noch sind nicht alle lückenlos angebracht – das soll aber in Kürze geschehen.
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